Wie schreibt man gute Dialoge?

Dialoge gehören zu den wichtigsten Elementen einer Geschichte. Selbstverständlich kann man einen 600-Seiten-Roman völlig ohne direkte Rede schreiben, aber wenn die wörtliche Rede vorkommt, ist sie von immenser Bedeutung, wenn sie nicht sogar das wichtigste Element überhaupt ist.

Warum? Weil das allerwichtigste in einer Geschichte die Charaktere sind, die handelnden Figuren. Und die definieren sich zu einem großen Teil durch das, was sie sagen. Bei vielen anderen Eigenheiten wie Aussehen, Kleidung, Herkunft sind wir auf die Beschreibungen angewiesen, die uns in der Geschichte geliefert werden. Auch die Stimmen der Figuren hören wir nicht – nicht die Tonlage, nicht die Klangfarbe, nicht, ob wir sie mögen oder nicht. Das Einzige, was wir 1:1 über einen Buchcharakter erfahren, ist das, was er sagt: so lebensnah wie die Wörter, die die Figuren benutzen, die Sätze, die sie formulieren, so real, so echt ist kein anderes Element in einer erzählten Geschichte.

Damit sollte klar sein: Die Rolle der Dialoge im Roman, in der Erzählung oder in der Kurzgeschichte ist immens wichtig. Sie prägen nachhaltig den Eindruck, den die Persönlichkeit der handelnden Figuren hinterlässt. Sie müssen funktionieren, damit die Geschichte stimmig ist.

Und wie gelingt das nun möglichst gut?

Die Sprache muss zum Charakter passen

Das ist die Grundregel. Wer sie ist und was sie ist, das zeigt eine Figur in einer Geschichte vor allem durch das, was sie sagt und wie sie es sagt.

Beispiele?

Fangen wir im historischen Roman an. Der Stallbursche einer Herberge im 18. Jahrhundert wird nicht in kunstvoll verschlungenen Sätzen sprechen und Shakespeare zitieren, sondern eine einfache Sprache verwenden ohne viele Fremdwörter, ohne Anspielungen auf Theater oder Literatur. Der altgediente Soldat, der die Napoleonischen Kriege überlebt hat und nun den Helden deines Romans als Ratgeber begleitet, wird in seiner Art zu reden seine langjährige Prägung vermutlich nicht leugnen können und eher knappe Sätze benutzen und wenig Emotionen in der Wortwahl erkennen lassen.

Bei aktuellen Themen ist es nicht viel anders. Die Professorin mittleren Alters, die jeden Tag im Hörsaal steht und Jura lehrt, wird sich einer anderen Ausdrucksweise befleißigen als der Sechzehnjährige, der auf dem Schulhof mit seinen Freunden herumalbert. Mit ihrer Art zu sprechen lassen sich Figuren einer bestimmten Zeit zuordnen, je nachdem auch einer bestimmten Berufsgruppe und einem bestimmten Bildungshintergrund. Eine Möglichkeit, die unbedingt genutzt werden sollte!

Die wörtliche Rede kann aber noch mehr: Spannend wird es, wenn die Dialoge diese Muster aufbrechen und die Erwartung nicht erfüllen: Wenn der Stallbursche sich eben doch einer bildhaften Sprache mit kunstvoll verschlungenen Sätzen bedient und gern die Klassiker zitiert, wird er interessant – was hat den Mann denn wohl an den abgelegenen Ort irgendwo im Schottischen Hochland geführt, und warum arbeitet er im Stall bei den Pferden, wenn er doch offensichtlich durch seine Bildung und Erziehung Zugang  zu viel besseren Lebensbedingungen hätte …? Das macht neugierig – hier ist ein Geheimnis zu vermuten, und dem wollen die Leser und Leserinnen nachgehen. Und das ist es ja, was wir mit Geschichten erreichen wollen – die Menschen in unseren Bann ziehen. Dafür sind Dialoge ideal.

Im Dialog muss die Beziehung stimmen

Wenn sich Gutsherrin und Köchin über einen Vorfall in der Spülküche unterhalten, muss klar sein, wer das Sagen hat und wer sich unterordnen muss. Das wird sich nicht nur in der Wortwahl zeigen, sondern auch in der Ausführlichkeit und der Sprechzeit. Kollege und Kollegin, die sich am Arbeitsplatz über einen Auftrag austauschen, reden auf Augenhöhe miteinander. Wenn die neue Auszubildende zufällig dem Vorstandsvorsitzenden über den Weg läuft und er ihr eine Frage in derselben Angelegenheit stellt, läuft dieses Gespräch anders ab und sollte auch so gestaltet werden, dass die Hierarchie, der Altersunterschied, die Lebens- und Berufserfahrung sich widerspiegeln.

Im Dialog muss die Situation stimmen

Die wörtliche Rede sollte idealerweise nicht nur auf die Person abgestimmt sein, die spricht, sondern auch auf die Situation, in der sie sich gerade bewegt. Ein Mann mittleren Alters wird mit seinem Chef in der Firma anders sprechen als mit den Kunden, die er betreut – und zu Hause, mit Familie oder Freunden, ist seine Ausdrucksweise wieder eine andere: In jeder dieser Situationen gibt es Rituale, Floskeln, einen Code, der benutzt wird. Im Beruf ist die Sprache oft sachlicher, mit Fachbegriffen versehen, distanzierter. Die private Sprache ist intimer, vertrauter, benutzt Kosewörter oder Kurzformen. Nutze die Möglichkeiten, im Dialog die Situation zu kennzeichnen, nicht nur die Figur!

Wichtig: Unterscheide zwischen Dialogpassagen und Erzählpassagen

Dialoge müssen nicht zwingend umgangssprachlich sein, aber sie wirken glaubwürdiger, wenn sie sich von der Schriftsprache unterscheiden. Abgesehen von den Polizeisprechern, die gelegentlich in den Medien zu hören sind und die sich so rechtssicher ausdrücken müssen, dass ihr Text oft haarscharf an der Unverständlichkeit vorbeischrammt, redet niemand wie gedruckt.

Beispiel: Stell dir vor, du hast eine Ware an einen Spediteur übergeben, und dein Kunde fragt, wann er damit rechnen kann, das Paket in Händen zu halten. Du antwortest: „Mir wurde gesagt, sie liefern es morgen.“

Ein banaler Satz, aber da stecken schon Besonderheiten drin. Im Deutschen ist es im Gegensatz zu anderen Sprachen legitim, nicht das Futur zu benutzen, wenn wir von der Zukunft sprechen. Wir müssen also nicht sagen: „Sie werden es morgen liefern“. Und schon gar nicht verwenden wir beim Sprechen den Konjunktiv, der ja bei indirekter Rede, die mit „Mir wurde gesagt …“ eingeleitet wird, ganz korrekt wäre. Da unterscheidet sich das gesprochene Wort von der Schriftsprache, und das sollte sich natürlich auch im geschrieben Dialog so zeigen.

Ein anderes Beispiel: Auf die Frage: „Hat die Firma XX sich schon gemeldet?“ wäre eine Antwortmöglichkeit: „Ich habe soeben nachgesehen, die Mail ist bereits eingetroffen.“  Nur – so spricht niemand. Die normale, durchaus höfliche und angemessene Antwort würde lauten: „Ich hab vorhin nachgesehen, die Mail ist schon da.“

Natürliche Dialoge verleihen den Figuren Farbe

Das macht den Unterschied aus zwischen einem natürlich wirkenden und einem hölzern wirkenden Dialog, der die Figuren blass aussehen lässt.

Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen die erste, so sperrig und übertrieben förmlich wirkende Variante tatsächlich benutzt wird. Aber dann in einem Kontext, in dem große Distanz gewahrt werden soll, oder betont langsam und überlegt gesprochen wird, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, weil die Situation heikel, das Thema wichtig und jedes Wort von großer Bedeutung ist, die genaues Überlegen notwendig macht. Aber das sind Ausnahmen, und so sollten sie auch im Dialog deiner Geschichte eingesetzt werden.

In einer gewöhnlichen Gesprächssituation drücken wir uns nicht so geschliffen aus. Und das ist auch richtig so, denn eine natürliche, der Situation angemessene und trotzdem authentische Sprechweise erfüllt im Gespräch eine Funktion: sie dient dazu, einem Gespräch eine persönliche Note zu verleihen und die notwendige Nähe zu schaffen, die eine angenehme Gesprächssituation kreiert: Unser Gegenüber soll sich wohlfühlen. Mit anderen Worten:  Ob wir uns perfekter Hochsprache bedienen oder einer etwas lässigeren Wortwahl, hängt von der Gesprächssituation ab, die wir erschaffen wollen.

Verleih der Sprache deiner Figuren individuelle Züge

Wir alle haben Lieblingsformulierungen, die wir immer wieder benutzen. Jeder von uns hat sprachliche Gewohnheiten, der eine zitiert gern Filmgrößen, die andere weiß zu allem ein Sprichwort, manche Menschen beenden jede Frage mit „oder?“ oder fangen jeden zweiten Satz mit „Ich weiß nicht, aber …“ an. Achte darauf, dass du nicht deine eigenen Lieblingsredewendungen auf jede der Figuren verteilst. Wenn alle in deinem Roman immer wieder „Ach du liebe Güte!“ sagen, dann nimmst du den Figuren ihre Individualität. Dafür unterstützt du ihre Persönlichkeit, wenn du ihrer Sprache ein paar individuelle Eigenheiten verleihst. Du kannst deine Figuren menschlicher und natürlicher machen, indem du ihnen Macken verpasst. Lass sie ihren Partner oder ihre Partnerin mit einem speziellen Kosewort anreden. Vielleicht sprechen sie selten einen Satz ganz zu Ende, vielleicht benutzen sie gern italienische Flüche, wenn sie Auto fahren – die Möglichkeiten, natürliche Dialoge zu schreiben, sind nahezu unendlich. Hör den Menschen, die du täglich triffst, einfach mal zu, und achte bewusst darauf, wie sie sprechen. Das kann sehr lehrreich sein :).  

Mein Tipp: Lass die Charaktere in deinen Geschichten nicht reden, als würden sie den Duden vorlesen. Gib ihnen stattdessen kleine sprachliche Besonderheiten. Das gekonnt Unperfekte ist hier ideal! 🙂

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