Das Verb ist dein bester Freund und Helfer, wenn du dein Schreiben vielseitiger gestalten willst. Glaubst du nicht? Ist aber so, und deswegen breche ich heute mal eine Lanze für diese vielfach unterschätzte Wortart: Das Verb.
Als ich in die Schule kam, hieß das Verb noch Tätigkeitswort oder Tuwort. „Tun“ war so ein Tuwort. „Machen“ auch. „Faulenzen“ komischerweise auch – obwohl das für meinen Kinderverstand eher das Gegenteil von Tun und Machen war. Tun, machen, faulenzen, herumliegen – egal. Alles Tätigkeitswörter. Die Frage nach den Untätigkeitswörtern hab ich mir verkniffen.
Die Verwirrung war auch nur von kurzer Dauer, denn als ich älter wurde, war nur noch vom Verb die Rede. Ein Verb gehört in jeden Satz, egal, ob dabei gerade etwas getan oder nicht getan wird: herumstehen, wegrennen, reden, schweigen …
Spätestens beim Lernen der Fremdsprachen wurde mir klar, dass die Verbform die Hauptrolle im Satz spielt (ja, ich weiß, als Satzteil heißt es Prädikat – aber davon ist das Verb immer mindestens ein Teil). Nimm einen Satzanfang wie „Sie …“ – und du weißt gar nichts. „Sie“ könnte eine Frau sein oder mehrere Personen, es könnten verschiedene Gegenstände sein oder ein einzelnes Ding. Nimmst du aber ein Wort wie „sang“, dann weißt du schon, dass hier nur von einer Person die Rede ist, und dass der Gesang schon vorbei ist. Ein Zweiwortsatz ohne Verb kommt selten vor. „Sie Lied“ ist kein Satz, „sie sang“ schon.
Weil das Verb alles Mögliche aussagen kann, angefangen von der Zahl der handelnden Personen über das, was geschieht und wann es geschieht, ist es der Dreh- und Angelpunkt in jeder Sprache und natürlich auch beim Schreiben immens wichtig. Und gibt immer wieder Anlass zu Problemen und Verbesserungsbedarf.
Viel zu viel “sein” und noch mehr “haben”
In jedem Text kommen manche Verben häufiger vor als andere. Deutlich häufiger. Unangefochten an der Spitze stehen dabei „sein“ und „haben“ in all ihren flektierten Variationen. Das liegt einfach daran, dass diese beiden Verben etwas haben, was alle anderen nicht haben: sie leisten einen Doppeljob: Sie sind Hilfsverb und Vollverb.
Hilfsverben, weil sie allen anderen Verben dabei helfen, bestimmte Zeitformen zu bilden:
„Du hast gewusst, dass das Konzert ausgefallen ist? Hättest du doch angerufen! Jetzt bin ich ganz umsonst hingefahren!“
Vollverben, weil sie auch ganz ohne Begleitung allein stehen können: „Ich habe heute keinen Dienst, ich bin krank.“
Bis hierher alles klar. Aber nun zu dem, was das Problem beim Schreiben darstellt: Da wir bestimmte Zeitformen nur mit „haben“ oder „sein“ bilden können, kommen diese Verben in jedem Text unverhältnismäßig häufig vor. Das lässt sich gar nicht vermeiden.
„Die ganze Geschichte fing an, als ich damals in die Lieblingshose meines Bruders ein Loch schnitt. Einen Tag vorher hatte er nämlich seinem Kumpel erzählt, dass ich in ihn verknallt war, und der hatte nichts Besseres zu tun, als …“
Wir wissen nicht, was der Junge getan hat, um die Protagonistin so wütend zu machen. Tatsache aber ist – es ist passiert, ehe die Handlung einsetzt, und damit haben wir die zusammengesetzten Zeitformen im Text, und dafür gibt es auch nicht immer eine Alternative. Als Hilfsverben sind „haben“ und „sein“ unersetzlich.
Mal ein Zahlenbeispiel: Mein Roman „Kängurublues“ hat rund 100.000 Wörter. Davon sind 3.500 Formen von „sein“ oder „haben“. Kein anderes Verb habe ich so häufig benutzt wie diese beiden – „sehen“ liegt mit 258 Verwendungen weit abgeschlagen dahinter. Also, obwohl ich ziemlich penibel darauf achte, diese beiden Wörter nicht öfter als unbedingt nötig zu benutzen, überschwemmen sie auch meine Texte.
Was lässt sich dagegen tun?
Bei dem Job als Hilfsverb – nicht viel. Aber in ihrer Aufgabe als Vollverben können „sein“ und „haben“ oft ersetzt werden. Nicht immer – aber meistens lohnt es sich, sich im großen Meer der Möglichkeiten umzusehen, ob nicht vielleicht irgendwo ein anderes Verb tatenlos herumsteht oder vielleicht im Regal verstaubt. Meistens gibt’s irgendeins, das genauso gut oder sogar noch besser passt.
Schreibtipp: Bring Abwechslung in deinen Text – nutze mehr (und andere) Verben!
Hier ein paar Beispiele:
Seine Stimme war tief.
Die Wohnung war im Osten der Stadt.
Er war in der letzten Reihe.
Er machte sich gerade.
Ihr Haar war modisch frisiert.
Bisher hatte er noch keine Gelegenheit.
Er ist in einer schwierigen Lage.
Er hat noch ein paar von diesen alten Lampen.
Das Verb ist der Mittelpunkt in jedem Satz.
Seine Stimme klang tief.
Die Wohnung lag im Osten der Stadt.
Er stand in der letzten Reihe.
Er richtete sich auf.
Sie trug das Haar modisch frisiert.
Bisher ergab sich noch keine Gelegenheit für ihn.
Er befindet sich in einer schwierigen Lage.
Er besitzt noch ein paar von diesen alten Lampen.
Das Verb bildet den Mittelpunkt in jedem Satz.
Achtet doch mal spaßeshalber darauf, wenn ihr mal wieder „ist“, „war“ oder „hatte“ schreibt, ob sich das nicht auch anders ausdrücken lässt. Vielleicht werdet ihr überrascht sein!
Hier steht das Verb im Mittelpunkt!
Übrigens – nicht nur mit der Identität der Verben lässt sich wunderbar mal was Neues ausprobieren, auch mit ihrer Stellung im Satz.
Meistens lese ich den Klassiker: die Subjekt-Prädikat-Objekt Reihenfolge im Satz.
Sie nahm das Päckchen mit, als sie ging.
Sie gingen schweigend ins Haus.
Es geht aber auch anders:
Das Päckchen nahm sie mit, als sie ging.
Schweigend gingen sie ins Haus.
Ins Haus gingen sie schweigend.
Was hier schon deutlich wird: Ein Umstellen der Reihenfolge verändert auch den Schwerpunkt im Satz.
Sie gingen schweigend ins Haus. Der Klassiker, was die Reihenfolge betrifft – Subjekt, Prädikat, Objekt. Hier ist nichts besonders betont. Da könnte vorher alles Denkbare passiert sein. Die langweiligste Formulierung von allen, aber auch die unauffälligste. Wenn es nichts Besonderes zu sagen gibt, ist dies die richtige. Oder wenn echtes Understatement im Text gebraucht wird.
Schweigend gingen sie ins Haus. Hier ist am meisten betont, dass sie etwas wortlos tun, still – schweigend eben. Im Gegensatz zu – was? Der Situation vorher vermutlich. Vielleicht hatte es vorher eine lautstarke Auseinandersetzung gegeben? Einen Streit, und nun gibt es nichts mehr zu sagen?
Ins Haus gingen sie schweigend. Hier ist das Haus der betonte Teil des Satzes – die ungewöhnlichste Satzstellung. Die sollte nicht grundlos verwendet werden. Vielleicht hatten sie vorher darüber gesprochen, ob sie hier übernachten sollten oder lieber in ein Hotel gehen? Das Haus hatte vielleicht etwas Unheimliches an sich oder es gehört einst ihrer Großmutter, die er nie gemocht hatte? Eine der beiden Personen wollte ins Haus gehen, die andere nicht, am Ende gehen sie ins Haus. Schweigend – zu sagen gibt es offenbar nichts mehr.
Probiert das doch mal aus. Wann immer ihr einen Satz mit “sie” oder “er” oder Varianten davon anfangen lassen wollt, versucht mal, das Objekt nach vorne zu holen. Kann interessante Effekte geben 🙂
Erspart dem Verb den Trennungsschmerz!
Besondere Herausforderungen bieten dann noch die zusammengesetzten Verben, die in der Vergangenheitsform, im Imperfekt, getrennt geschrieben werden. Dazu gehören beispielsweise anfangen, wegräumen, zurechtrücken, zusammentreffen – all diese Verben dürfen auseinandergenommen werden. Allerdings ist es sinnvoll, zwischen ihre Teile keine endlos langen Bandwurmsätze zu stellen.
Ein paar Beispiele:
“Im Biergarten trafen wir endlich mit den Freunden, die wir nun ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten, zusammen.”
Das ist nicht falsch. Der Satz mit „die wir nun ja …“ definiert die Freunde näher, und insofern ist es schon richtig, dass diese Erklärung direkt bei dem Wort steht, auf die sie sich bezieht. Verständlicher wird der Satz dadurch nicht, weil der zweite Teil des Verbs irgendwie abgehängt wird: Bis wir beim Lesen das “zusammen” erreicht haben, haben wir schon fast vergessen, dass das eigentlich zum “trafen” gehört.
Besser wäre also. “Im Biergarten trafen wir endlich mit den Freunden zusammen, die wir nun ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten.”
Noch ein paar mehr:
Sie räumten das Geschirr, das sich im Spülbecken während der endlos langen letzten Stunden nach und nach angesammelt hatte, weg.
Er rückte die Stifte, die bedrohlich nahe an der Kante des Tisches lagen und jeden Augenblick abzustürzen drohten, zurecht.
Gut, die Beispiele sind jetzt vielleicht ein kleines bisschen übertrieben, aber nicht weit entfernt von dem, was ich oft in Manuskripten lese. Insofern:
Lasst zusammen, was zusammengehört – auch das zusammengesetzte Verb!
Und wenn ich schon mal dabei bin, noch ein Letztes – und dann soll es für heute gut sein mit dem Verb:
die Befehlsform oder der Imperativ
Immer mal wieder finde ich Tipps und Anweisungen wie diese hier:
Gebe deinem Buch noch eine Chance!
Lese diese Nachrichten!
Äh – nein!
Starke Verben – das sind die, die es aushalten, dass der Vokal in der Mitte auch mal wechselt – wie lesen oder geben haben in der Befehlsform kein -e am Ende, sie wechseln auch im Imperativ den Vokal.
Also heißt das nicht:
Gebe! Sondern: Gib!
Helfe! – Hilf!
Lese! – Lies!
Und man ruft dem Mitwohnungsrenovierer auch nicht zu: “Messe mal!” Sondern: “Miss mal die Wand aus!” Die Messe findet in der Kirche statt 😉
Ach, und der Klassiker: “Nehme!” und “Nimm!” Wenn von einem alten Rezept die Rede ist, heißt es schon mal: „Man nehme dreiundzwanzig Tropfen und vermenge sie sorgfältig …“ Ansonsten: Nimm das, und nimm zwei! Und verdirb es nicht 🙂
Eins noch zum Imperativ, und dann bin ich fertig für heute: Kennt ihr die sinnlosen Imperative? Das sind die, bei denen die Befehlsformen naturgemäß völlig wirkungslos verhallen. “Regne!” zum Beispiel. Wer gegenteilige Erfahrungen gemacht hat, darf mich gern informieren.
Schreibtipp für heute: Schreibe lieber ungewöhnlich – und versuch es mal mit Vielseitigkeit und Verb-Variationen!
Sehr cool, liebe Emma. Danke!
Es ist mir eine ungewöhnliche Freude, deinen Texten zu folgen! Deine Artikel wirken auf mich inspirierend und machen mir Mut für das Experment Sprache! Alles Liebe Katharina
Das freut mich, liebe Katharina! Nur Mut – Kreativsein geht überall :)!